Österreicher scheitert mit Fax-Strategie: Karlsruhe eliminiert analoge Schlupflöcher im Europäischen Rechtsverkehr

30.06.2025
30.06.2025
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Der IX. Zivilsenat etabliert strikte beA-Compliance für europäische Rechtsanwälte und definiert Schriftform-Standards bei grenzüberschreitenden Vollstreckungsverfahren.

Vollstreckungsverfahren eskaliert zur Grundsatzentscheidung

Ein österreichischer Rechtsanwalt provozierte mit seiner Fax-und-Post-Strategie eine richtungsweisende BGH-Entscheidung (Beschl. v. 15.5.2025, Az.: IX ZB 1/24). Das LG Traunstein hatte seinem Mandanten eine Vollstreckungsklausel für einen österreichischen Zahlungsbefehl erteilt. Die dagegen eingereichte Beschwerde erfolgte bewusst ohne beA-Nutzung gemäß § 130d ZPO. Der österreichische Anwalt setzte auf Rubrum-Unterschrift statt elektronischer Übermittlung – eine Strategie, die das OLG zunächst tolerierte. Der BGH korrigierte diese Nachsicht grundlegend und etablierte klare Compliance-Standards für den europäischen Rechtsverkehr.

Österreichische Verfahrensstandards werden anerkannt

Der BGH akzeptierte die österreichische Rubrum-Unterschrift als formgültig: Eine handschriftliche Signatur zu Beginn des Schriftsatzes genügt dem Schriftlichkeitserfordernis, sofern das nationale Verfahrensrecht diese Form explizit zulässt. Das österreichische Recht gestattet diese Praxis, weshalb der Schriftsatz nicht als bloßer Entwurf qualifiziert wurde. Diese Anerkennung demonstriert BGH-Flexibilität bei formalen Anforderungen im europäischen Kontext – allerdings nur bei traditionellen Schriftform-Standards, nicht bei elektronischen Übermittlungspflichten.

Einvernehmensanwalt-Erfordernis wird durch AVAG-Meistbegünstigung umgangen

§ 28 Abs. 1 EuRAG fordert grundsätzlich Einvernehmen mit deutschen Rechtsanwälten bei Anwaltszwang-Verfahren. Der österreichische Anwalt erbrachte diesen Nachweis nicht. Der BGH validierte die Beschwerde dennoch durch Meistbegünstigung: Da das LG irrtümlich AVAG-Verfahren anwandte, durfte der Anwalt auf Einvernehmen-Dispens vertrauen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AVAG, § 78 Abs. 3 ZPO).

beA-Compliance wird alternativlos für EU-Anwälte

Der entscheidende Punkt: § 130d ZPO gilt ausnahmslos für europäische Rechtsanwälte. § 27 Abs. 1 Satz 1 EuRAG etabliert Gleichstellung mit deutschen Kollegen bezüglich Rechten und Pflichten – einschließlich elektronischer Übermittlungspflichten. Der BGH verwarf jegliche Privilegierung: Europäische Anwälte können beA-Zugang beantragen (§ 27a Abs. 1 Satz 1 EuRAG) und müssen diesen nutzen. Analoger Schriftverkehr disqualifiziert Prozesserklärungen unwiderruflich.

Dienstleistungsfreiheit bleibt ungeklärte Rechtsfrage

Strategisch ließ der BGH offen, ob EU-Dienstleistungsfreiheit Ausnahmen von § 130d ZPO rechtfertigen könnte. Diese Ambiguität eröffnet künftige Verfahren, falls europäische Anwälte verfassungsrechtliche oder europarechtliche Einwände gegen beA-Zwang erheben. Die Entscheidung eliminiert faktisch alle analogen Schlupflöcher für EU-Anwälte im deutschen Zivilverfahren und erzwingt vollständige Digitalisierungs-Compliance unabhängig von der Herkunftsjurisdiktion.