Wirecard-Nachbeben: Commerzbank verklagt EY auf 190 Millionen Euro

29.05.2025
29.05.2025
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Fünf Jahre nach dem spektakulären Kollaps des Zahlungsdienstleisters Wirecard erreichen die juristischen Konsequenzen eine neue Dimension: Die Commerzbank hat vor dem Landgericht Frankfurt eine Schadenersatzklage gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY eingereicht. Der Streitwert beläuft sich auf 190 Millionen Euro.

Grundlage der Haftungsansprüche

Die Frankfurter Großbank sieht sich als Opfer mangelhafter Prüfungsleistungen zwischen 2012 und 2020, als EY die Wirecard-Bilanzen testierte. Kernvorwurf: EY habe durch fehlerhafte Abschlussprüfungen die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Münchner Fintech-Unternehmens verschleiert. Dies führte zu Ausfällen aus einem 2018 gewährten Kreditengagement. Der Bilanzskandal offenbarte 2020, dass 1,9 Milliarden Euro aus dem sogenannten Drittpartner-Geschäft nicht existierten. Die angeblich auf südostasiatischen Treuhandkonten liegenden Gelder waren fiktiv, obwohl EY die entsprechenden Bilanzen bis 2018 uneingeschränkt bestätigt hatte.

Unterschiedliche Verfahrenslandschaft

Anders als im parallellaufenden Kapitalanlegermusterverfahren (KapMuG) in München klagt die Commerzbank nicht als Anlegerin, sondern als Kreditgeberin. Diese unterschiedliche Rechtsposition ermöglicht es dem Frankfurter Verfahren, unabhängig von den Münchner Proceedings zu verlaufen. Die mündliche Urteilsverkündung ist für den 18. Juli terminiert. Das KapMuG-Verfahren, das stellvertretend für mehrere tausend Anleger geführt wird, steht vor komplexen Herausforderungen. Das Bayerische Oberste Landesgericht entschied im Februar, dass Bestätigungsvermerke keine Kapitalmarktinformation im Sinne des KapMuG darstellen. Sollte der Bundesgerichtshof diese Entscheidung bestätigen, müssten rund 8.500 Einzelklagen vor dem Landgericht München I verhandelt werden.

Branchenweite Konsequenzen

EY hat bereits regulatorische Sanktionen akzeptiert: Die Aufsichtsprüferaufsichtsstelle (Apas) verhängte eine Geldbuße und eine Sperre für neue Prüfmandate bei kapitalmarktorientierten Unternehmen bis Ende März 2026. Die Apas sah Berufspflichtverletzungen bei den Wirecard-Prüfungen von 2016 bis 2018 als erwiesen an.

Die Nachwirkungen zeigen sich im Mandatsgeschäft: Die Commerzbank wechselte zu KPMG als Abschlussprüfer, während die Deutsche Bank-Tochter DWS EY zunächst nicht beauftragte, aber ab 2026 wieder als Prüfer einsetzen will. Interessant: Bei Volkswagen und der Deutschen Bank scheiterten Versuche des Anlegeranwalts Wolfgang Schirp, EY als Prüfer abzulösen. Der niederländische EY-Ableger gewann sogar ein neues DAX-Mandat bei Qiagen.

Rechtliche Vertretung und Ausblick

Für das Frankfurter Verfahren hat EY die Kanzleien Lutz Abel und Freshfields mandatiert, während sich die Commerzbank durch Ashurst vertreten lässt. Das Urteil könnte weitreichende Präzedenzwirkung für ähnlich gelagerte Haftungsfälle zwischen Kreditinstituten und Wirtschaftsprüfern entfalten. Parallel erfuhr das KapMuG-Verfahren einen Anwaltswechsel: Elmar Vitt, Marc Liebscher und Wolfgang Schirp vertreten nun den Musterkläger Kurt Ebert, nachdem Peter Mattil sein Mandat niedergelegt hatte.