azur100-Studie: 83% der Kanzleien setzen auf Tech-Ausbildung statt klassischer Fortbildung

02.07.2025
02.07.2025
3 Minuten Lesezeit
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ChatGPT, Harvey und HighQ werden zum Standard in der Associate-Entwicklung – Peer-to-Peer-Learning und Prompt Engineering erobern Curriculum.

Mandantenanforderungen revolutionieren Nachwuchsförderung

Junge Anwälte und Referendare konfrontieren Kanzleien bereits im Bewerbungsgespräch mit Tech-Erwartungen. Legal Tech-Angebote avancieren neben klassischen Themen wie Verhandlungsführung oder Zeitmanagement zum entscheidenden Auswahlkriterium bei der Arbeitgeberwahl. Grund: Mandanten setzen KI-gestützte Rechtsdienstleistungen unter Innovations- und Kostendruck voraus. Die azur100-Top-Arbeitgeber-Recherche dokumentiert diese Transformation: 83 Prozent der Kanzleien bilden Associates in Legal Tech aus – 15 Prozent mehr als 2020. Während Universitäten und Referendariat digitale Tools vernachlässigen, kompensieren Kanzleien diese Ausbildungslücke systematisch.

DLA Piper demokratisiert Tool-Zugang durch Self-Service

Nina-Marie Luckhaupt (30), Legal Technology Manager & Local Lead bei DLA Piper, implementiert einen Self-Service-Ansatz: „Wir stellen allen Neuen von Anfang an die Tools vor, die wir im Einsatz haben. Die Idee ist, dass jeder die Tech- und KI-Tools kennt und schnell selbst anwenden kann." Associates entscheiden eigenständig über Tool-Einsätze und fragen proaktiv bei Partnern an.

Yolanda Ristau (29), Associate bei DLA München im Gesellschaftsrecht und M&A, bestätigt die Praxisrelevanz: „Wir als Associates sind diejenigen, die einen großen Teil des Mandats bearbeiten. Legal-Tech-Tools machen uns dabei das Leben sehr viel leichter. Deshalb ist es natürlich wichtig, von Anfang zu wissen, was möglich ist – und wie es geht."

Hengeler Mueller etabliert monatliche Tech-Onboardings

Hengeler Mueller veranstaltet monatliche Onboardings für Neueinsteiger zur konkreten Legal Tech-Verwendung und Nutzung des kanzleieigenen KI-Chatbots. Associates loben in der azur-Umfrage: „Wir haben zahlreiche praxiserprobte Legal-Tech-Lösungen. Die Automatisierung an geeigneten Stellen wird mehr und mehr zum Alltag und erleichtert Datei- und Projektmanagement enorm".

Peer-to-Peer-Learning dominiert Wissenstransfer

Baker McKenzie ermöglicht allen Senioritätsstufen Engagement in einer ‚AI Task Force' als interne KI-Ansprechpartner. Freshfields setzt auf ‚Subject Matter Experts' für einstündige Expertenvorträge über KI-Strategie und Tool-Integration. Norton Rose Fulbright bildet tech-affine Associates zu ‚Innovations-Champions' aus, die KI-Anwendungen im eigenen Team einführen.

Prompt Engineering wird zur Kernkompetenz

Dr. Tim Engel (36), Associate bei Raue, erklärt den ‚ChatGPT-Führerschein': „Der Führerschein ist sozusagen die Basis, um KI sinnvoll und sicher einsetzen zu können." Nach Datenschutz- und Mandatsgeheimnis-Schulung lernen Associates Prompt-Optimierung: „Ist ein guter Prompt gefunden, speichern wir ihn ab, damit auch andere Kollegen und Kolleginnen in Zukunft davon profitieren." Osborne Clarke und Greenberg Traurig trainieren Nachwuchs in ‚Legal Prompting', da präzise Aufträge an Sprachmodelle wie ChatGPT verwertbare Ergebnisse voraussetzen.

KI-Affinität wird zum Karriere-Katalysator

Dr. Martin Mengden (39), Counsel bei Raue, betont Gestaltungsmöglichkeiten: „Tech und KI sind aus der Arbeitswelt und der Ausbildung nicht mehr wegzudenken. Unser Legal Tech Board, das sich mit der Vermittlung von Wissen und der Entwicklung von Tools befasst, wurde auf Initiative eines First Year Associate ins Leben gerufen – wer sich engagiert, kann von Anfang an viel mitgestalten." Herbert Smith Freehills Kramer begrüßt „starkes Interesse an Innovationen und Legal Tech sowie erste Erfahrungen im Umgang mit AI-Tools". Raue schätzt „Interesse und Bereitschaft mit Legal-Tech- und KI-Lösungen zu arbeiten". Ristau demonstrierte Eigeninitiative bei 100+ Verträgen durch Tool-Kombination: KI-Vertragsdurchsicht, interne Kollaborationsplattform, Dokumentenautomatisierung und digitale Unterzeichnungssoftware. „Das Ergebnis hat die Arbeit im Mandat enorm erleichtert – und die Fehleranfälligkeit war viel geringer." Dennoch warnen Experten vor KI-Halluzinationen: Anwälte müssen Ergebnisqualität sorgfältig prüfen, da vollständige Technik-Autonomie ausgeschlossen bleibt.