Bürokratiebremse Juristenmonopol: Wissenschaft identifiziert Reformhindernisse in der Verwaltung

Empirische Studien belegen: Die massive Überrepräsentation rechtswissenschaftlich ausgebildeter Entscheider hemmt die Verwaltungsmodernisierung systematisch – ein Problem, das bei der Staatsreform berücksichtigt werden muss.
Juristische Dimension des Bürokratieproblems
Forderungen nach einem effizienteren Staat dominieren aktuell die politische Agenda. SPD, Union und Grüne fordern einen "besser funktionierenden Staat", während Wirtschaftsverbände und Kommunen "grundlegende Veränderungen staatlichen Handelns" verlangen.
Die "Lebenslagenbefragung" der Bundesregierung zeigt konsistent: Die "Verständlichkeit des Rechts" ist der größte Kritikpunkt bei behördlichen Dienstleistungen – sowohl für Bürger als auch für Unternehmen. Diese Problematik rangiert in der öffentlichen Wahrnehmung sogar noch vor der mangelhaften Digitalisierung.
"Juristendominanz" als Reformhindernis
Zahlreiche Studien identifizieren das "Juristenmonopol" in Verwaltungsspitzen als wesentliches Reformhindernis:
- Prof. Dr. Gerhard Hammerschmid (Hertie School) stellte 2020 fest, dass die ausgeprägte Bedeutung juristischer Perspektiven hinterfragt werden müsse.
- Forscher der Universität Potsdam wiesen 2012 empirisch einen signifikant negativen Effekt eines rechtswissenschaftlichen Studiums auf die Reformbereitschaft von Führungskräften nach.
- Die "Deutsche Akademie für Technikwissenschaften" empfiehlt explizit, "der einseitigen Fokussierung auf juristische Qualifikationen entgegenzuwirken".
Kompetenzreform statt personeller Umstrukturierung
Ex-Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, Co-Initiator einer Experteninitiative für einen "handlungsfähigen Staat", sieht das Problem differenzierter: "Grundsätzlich denke ich, dass es sinnvoll ist, wenn in der Verwaltung viele Personen arbeiten, die gut mit Recht umgehen können. Sie sollten aber auch noch andere Dinge können."
Voßkuhle plädiert für ein erweitertes Kompetenzprofil: "Das Lösen von Fällen ist wichtig, aber andere Fähigkeiten sind eben auch sehr wichtig: moderne Personalführung, Kommunikationstraining, ökonomische Kompetenz, Mediation, Kontextanalyse, Wirkungsforschung, Akzeptanzmanagement."
Ausbildungsreform als Lösungsansatz
Die empirischen Defizite der juristischen Ausbildung sind markant:
- Laut Centrum für Hochschulentwicklung (2023) schneidet die Rechtswissenschaft bei der Förderung von Zukunftskompetenzen besonders schlecht ab – insbesondere bei Digitalkompetenzen, Kollaborationsfähigkeit sowie Innovations- und Veränderungskompetenz.
- Studierendensurveys der Universität Konstanz bestätigen diese Mängel aus studentischer Perspektive.
Demokratierelevanz der Verwaltungsmodernisierung
Die heutige Juristenausbildung entstammt einer Zeit, als Verwaltung der obrigkeitsstaatlichen Durchsetzung diente. In einer modernen Demokratie, in der alle Macht vom Volke ausgeht, bedarf es einer anderen Verwaltungskultur.
Voßkuhle betont daher: Die mangelnde Funktionsfähigkeit des Staates ist nicht nur ein funktionelles Problem, sondern ein echtes Demokratieproblem. Eine zeitgemäße Verwaltung erfordert Serviceorientierung statt hierarchischer Obrigkeitsmentalität.
Will die Rechtswissenschaft ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden, muss sie ihre Ausbildungskonzepte grundlegend modernisieren.