Anwalts-Eigenverfahren durchbricht elektronische Übermittlungspflicht: Sozietätsinterne Vertraulichkeit als Schutzkriterium

23.06.2025
23.06.2025
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Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg etabliert Unzumutbarkeitstatbestand für beA-Nutzung bei konfligierenden Vertraulichkeitspflichten in Anwaltssozietäten.

Statusbezogene versus rollenbezogene Auslegung bleibt ungeklärt

Das FG Berlin-Brandenburg vermied in seinem Urteil vom 10.06.2025 (Az. 3 K 3005/23) die grundsätzliche Klärung der elektronischen Übermittlungspflicht nach § 52d Satz 1 FGO. Die höchstrichterlich unentschiedene Streitfrage zwischen statusbezogener und rollenbezogener Interpretation bleibt offen: Während statusbezogenes Verständnis Rechtsanwälte unabhängig von ihrer Verfahrensrolle zur beA-Nutzung verpflichten würde, differenziert rollenbezogene Auslegung nach der konkreten Handlungsqualität. Der als Sozietätspartner auftretende Kläger hatte seine berufliche Eigenschaft in der Klageschrift nicht offengelegt. Erst die Einspruchsentscheidung dokumentierte Einkünfte aus anwaltlicher Tätigkeit, was das Gericht zur § 52d-Problematik führte.

Vertraulichkeitskonflikt begründet Unzumutbarkeit

Das Gericht akzeptierte die Unzumutbarkeitsargumentation des Klägers: Mehrere Sozietätsangestellte besaßen beA-Zugriff, was zwangsläufig Einblicke in seine steuerlichen Verhältnisse ermöglicht hätte. Sozietätsvertraglich verpflichteten sich die Partner zur Geheimhaltung von Gewinnen und individuellen Gewinnanteilen gegenüber Angestellten. Diese Konstellation kreierte einen unauflösbaren Konflikt zwischen prozessualer Übermittlungspflicht und vertraglichen Vertraulichkeitsverpflichtungen. Das FG gewichtete den Schutz steuerlicher Privatsphäre höher als formale Verfahrenseffizienz.

Praktische Konsequenzen für Anwaltssozietäten

Die Entscheidung etabliert einen bedeutsamen Präzedenzfall für gemeinschaftlich organisierte Anwaltspraxen. Sozietäten mit geteiltem beA-Zugang können künftig Unzumutbarkeit geltend machen, wenn interne Vertraulichkeitsstrukturen durch elektronische Übermittlung kompromittiert würden. Das Urteil signalisiert richterliche Sensibilität für organisatorische Realitäten in Anwaltskanzleien, die technische Effizienzanforderungen mit berufsrechtlichen Vertraulichkeitspflichten in Einklang bringen müssen.

Revisionszulassung verweigert wegen materieller Erfolglosigkeit

Das FG versagte die Revision, da § 52d-Auslegung nicht entscheidungserheblich war – die Klage scheiterte materiell-rechtlich als unbegründet. Diese Konstellation verhindert höchstrichterliche Klärung der grundsätzlichen status- versus rollenbezogenen Interpretationsfrage. Die Unzumutbarkeitsdoktrin bleibt somit auf Instanzgerichtsebene entwickelt, ohne definitive obergerichtliche Orientierung für vergleichbare Fallkonstellationen in der anwaltlichen Praxis.