Steuerliche Mehrarbeitsförderung: DStV warnt vor unbeabsichtigten Kollateralschäden

Die geplante Abgabenbefreiung für Überstundenzuschläge könnte etablierte Arbeitszeitsysteme destabilisieren und den Mittelstand benachteiligen.
Problematische Implementierung eines nachvollziehbaren Ziels
Der Deutsche Steuerberaterverband (DStV) äußert grundsätzliche Bedenken zur angekündigten Steuerbefreiung von Mehrarbeitszuschlägen. Während die Motivation zur Fachkräftegewinnung verständlich sei, birgt die konkrete Ausgestaltung erhebliche Risiken für etablierte Arbeitsorganisation. Die Regelung soll bei Tätigkeiten greifen, die übertarifliche oder orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen – mindestens 34 Wochenstunden bei Tarifbindung, 40 Stunden ohne Tarifvertrag.
Konflikt mit bewährten Arbeitszeitkonzepten
Die steuerliche Privilegierung monetärer Zuschläge konterkariert etablierte Flexibilisierungsmodelle. Überstunden werden überwiegend nicht sofort vergütet, sondern auf Arbeitszeitkonten verbucht und später durch Freizeit kompensiert. Diese Systeme ermöglichen zeitliche Flexibilität und verbessern die Work-Life-Balance. DStV-Präsident Torsten Lüth befürchtet, dass Arbeitgeber unter Druck geraten könnten, Überstunden unmittelbar auszubezahlen, was bewährte Flexibilisierungsmodelle gefährdet und bei Auftragsschwankungen schneller zu Kurzarbeit führen könnte.
Fehlanreize und Gestaltungsmissbrauch
Die Regelung eröffnet strukturelle Missbrauchsmöglichkeiten: Tarifparteien könnten Wochenarbeitszeiten gezielt auf 34 Stunden reduzieren, um bei unveränderter Arbeitsleistung von 38-40 Stunden steuerfreie Zuschläge zu generieren. Diese Konstruktion würde Nettolöhne ohne zusätzliches Arbeitsvolumen erhöhen und das Regelungsziel konterkarieren.
Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des Mittelstands
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Freie Berufe arbeiten typischerweise mit 40-Stunden-Wochen ohne Tarifbindung. Ihre höhere Mehrarbeitsgrenze gegenüber tarifgebundenen Bereichen benachteiligt sie bei der Fachkräftegewinnung. Zudem dürften viele KMU finanziell nicht in der Lage sein, neben regulären Überstundenvergütungen zusätzliche steuerfreie Zuschläge zu zahlen, was bestehende Wettbewerbsnachteile verstärkt.
Bürokratische Komplexität und Rechtsunsicherheit
Die praktische Umsetzung wirft fundamentale Abgrenzungsfragen auf: Definition des Mehrarbeitsbeginns, Anordnungserfordernis, Behandlung flexibler Arbeitszeitmodelle und mehrerer Teilzeitjobs sowie die Anwendung bei Gesellschafter-Geschäftsführern. Ohne klare Regelungen drohen Rechtsunsicherheiten und erheblicher Dokumentationsaufwand, der besonders kleinere Unternehmen belastet.
Konjunkturelle Unangemessenheit der Maßnahme
In der aktuellen wirtschaftlichen Situation erscheint die Maßnahme wenig zielführend. Viele Unternehmen verfügen nicht über die finanziellen Ressourcen für zusätzliche Zuschläge, während selbst große Konzerne aufgrund der Konjunkturlage Zuschläge nur selektiv gewähren könnten. Die Steuerbefreiung dürfte eher in wirtschaftlichen Aufschwungphasen Wirksamkeit entfalten.
Der DStV plädiert für "einfache und gerechte Lösungen, die tatsächlich zu mehr Arbeitsleistung führen" statt zusätzlicher bürokratischer Belastungen, die etablierte Arbeitsorganisation gefährden und strukturelle Ungleichgewichte verstärken.